Hans-Joachim Frank im Interview mit der AG für historische Stadtkerne zur Sommertournee 2019
Dieses Jahr wird in Brandenburg das 200. Jubiläum von Theodor Fontane gefeiert. Sie haben für das diesjährige Sommertheater in historischen Stadtkernen ein Stück von August von Kotzebue ausgewählt. Warum?
Wir wollen auch in diesem Jahr einen Abend bieten, der die Leute freut und bewirkt, dass sie gern wiederkommen. Als ich anfing, diese Abende zu konzipieren, dachte ich: Wie lang soll es werden? Vielleicht eineinhalb Stunden? Mittlerweile sind wir bei drei Stunden. Das ist toll! Die Leute wollen immer noch eine Zugabe, sie fühlen sich offensichtlich sehr wohl mit uns. Das hat etwas mit den ausgewählten Stücken zu tun: Wir spielen unterhaltsame Stücke, es wird viel gesungen – auch das mögen die Leute, manche singen sogar mit.
Das theater 89 arbeitet nun seit einigen Jahren mit der Arbeitsgemeinschaft Städte mit historischen Stadtkernen im Land Brandenburg zusammen. Wie kam es dazu?
Der Bürgermeister von Treuenbrietzen und damalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Michael Knape, sprach uns an. Erste Versuche mit Theatervorstellungen in historischen Stadtkernen waren gescheitert und er hatte Aufführungen von uns gesehen. Ich fand die Idee direkt großartig! Das Theater wartet nicht in großen Städten, in großen Häusern auf die Leute, sondern kommt in die kleineren Städte und bringt den Leuten etwas.
In diesem Jahr werden Sie auch Audio-Guides für die Stadtkerne produzieren. Was erwartet Sie mit dieser neuen Aufgabe?
Es liegt nahe, mit den Stimmen der bekannten Schauspieler aus dem Sommertheater auch durch die Stadtkerne zu führen. Sie alle stammen aus Brandenburg oder Berlin, kennen die Städte und sind somit nah dran am Thema. Wir werden sehen, wie wir die Texte lebendig umsetzen können.
Das Stück für das kommende Sommertheater heißt DIE DEUTSCHEN KLEINSTÄDTER. Was ist das Besondere an Kleinstädter/innen?
Das Stück ist eine Überzeichnung des kleinstädtischen Wesens, besonders der Titelsucht in der kleinstädtischen Administration. Sie haben noch nie in so kurzer Zeit so viele Titel gehört, wie sie in diesem Stück hören werden. Die Frage ist: Wer trifft in der Kleinstadt die Entscheidungen? In die Kleinstadt kommt jemand aus der Residenzstadt, also aus Potsdam, mit einer Empfehlung vom Minister. Sein Empfang wird vorbereitet, die schlechten Straßen bereiten Probleme. Eigentlich möchte er die Tochter des Bürgermeisters heiraten. Es ist eine Farce, eine Überspitzung der Untugenden in der Kleinstadt, aber auch erhellend, wie wir mit unseren Administrationen umgehen. Eine sehr amüsante Geschichte. Ich bin gespannt, wie sie die Kleinstädter aufnehmen.
Beschäftigen Sie sich in diesem Jahr auch mit Fontane? Wie sehen Sie Fontane und seine Arbeit?
Eine solche Feierlichkeit bringt mit sich, dass sich alle möglichen Leute mal wieder mit Fontane beschäftigen. Ich habe das persönlich schon vor vielen Jahren gemacht. Die Wanderungen durch die Mark Brandenburg finde ich großartig und greife oft dazu.
Effi Briest ist einer der populärsten Romane in Deutschland überhaupt – ein Bestseller! Man könnte denken: Fontane, das war ein großväterlicher Mann, der alles wusste. Aber Fontane hatte es nicht leicht: Die Familie hatte große wirtschaftliche Probleme, durch die vielen Reisen war er kaum zu Hause, Kinder starben kurz nach der Geburt. Seine Frau wollte immer, dass er ein Amt bekommt, damit sie ein sicheres Einkommen haben. Aber wenn er eines hatte, dann konnte er es dort nicht aushalten. Ich finde es wichtig, wahrzunehmen, dass hinter einem solchen Werk ein Mensch steht. Ein Mensch, der mit Herausforderungen konfrontiert war, die auch heute wieder aktuell sind.
Fontane war ja nicht nur Schriftsteller, sondern auch als Journalist tätig. Er hatte also Anteil an politischen Prozessen seiner Zeit. Gilt das für alle Schriftsteller und Theatermacher? Spielt Politik dort grundsätzlich eine Rolle?
Unbedingt, ja. Bei den Großen auf jeden Fall! Shakespeare, Goethe oder Tschechow wussten genau Bescheid über die politischen Umstände ihrer Zeit. Die Fragen der Kulturpolitik: Was ist eigentlich Kultur? Oder: Was wird gefördert und was nicht? – Das sind Fragen, die damals aktuell waren und auch heute für uns aktuell sind, zum Beispiel in den Kleinstädten und Dörfern in Brandenburg: Welche Kultur wird dort gelebt? Es ist gut, dass diese Fragen auch in der Politik wieder gestellt werden. Deshalb finde ich die Leistungen der Arbeitsgemeinschaft bemerkenswert. Im letzten Jahr haben wir einen russischen Abend gemacht. Brandenburg war gezeichnet von der sowjetischen Besatzung und die Kultur im Osten war russisch geprägt. Die Leute stellen einen persönlichen Bezug zu diesem Stoff her.
Ist die Auswahl der Stücke also das Erfolgsrezept des Sommertheaters?
Das komplette Konzept überzeugt: Die historischen Stadtkerne mit ihren aufwendig sanierten Häusern werden zur Kulisse der Aufführung. In der Beziehung mit dem Theater sehen die Menschen ihre Stadt neu. Der übergeordnete Auftrag dieser Unternehmung ist es, Leben in die Stadtkerne zu bringen. Die Menschen haben Ansprüche an ihre Lebensumgebung und dabei ist das kulturelle Angebot wichtig. Unser Angebot ist sehr direkt, wir stehen in engem Kontakt mit den Bürgermeistern, der Verwaltung, sowie den Menschen in den Orten, an die wir kommen. Außerdem ist es uns wichtig, ein Angebot für alle Generationen zu schaffen. Ob Kinder oder ältere Menschen, für alle sollte es ein gelungener Abend sein. Auch auf der Bühne sind mehrere Generationen vertreten.
Meinen Sie, dass sich dieses Konzept auch auf andere Regionen übertragen lässt?
Ja. Ich denke, ein Theater, das zu den Menschen kommt, ist eine große Chance – gerade für ländlich geprägte Regionen. Die Arbeitsgemeinschaft und die verfügbaren Fördermöglichkeiten sind hier in Brandenburg die Voraussetzung für unsere Arbeit. In anderen Bundesländern gibt es andere Bedingungen, die vielleicht andere Umsetzungstrategien für vergleichbare Projekte erfordern. In Nordrhein-Westfalen ist das Interesse am Theater in historischen Stadtkernen eher touristisch. Das kulturelle Potential eines Ortes zu wecken, durch Theater auf dieser direkten und persönlichen Ebene, ist jedenfalls eine lohnende Aufgabe.
Fotos von einer Kostümprobe in Eberswalde zu DEN DEUTSCHEN KLEINSTÄDTERN von Moritz Meyer und Ronald Richter.