RUSSISCHER ABEND: Das Sommertheater der AG Historische Stadtkerne tourt in diesem Jahr mit Einaktern von Anton Tschechow durch Brandenburg, die das theater 89 geist- und witzreich inszeniert. Am Sonnabend gastierten sie auf dem Angermünder Klosterplatz.
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Angermünde (MOZ) Das Sommertheater der AG Historische Stadtkerne in Brandenburg tourt wieder durch 15 Mitgliedsstädte und machte am Wochenende in Angermünde Halt. Zum 9. Mal hieß es hier Bühne frei für den großen Auftritt der prächtig sanierten Altstadt und für einen unvergesslichen Sommertheaterabend. Vor der romantischen Kulisse der mittelalterlichen Klosterkirche zog das theater 89 das Publikum mit einem „Russischen Abend“ in seinen Bann und traf von der ersten Pointe an den Nerv der rund 200 Zuschauer, die es sich auf Stühlen oder Decken in der lauen Abenddämmerung gemütlich machten. Mit ungebändigter Spiellust, faszinierender Mimik und Gestik bis ins kleinste Detail und hitzigem Temperament zauberten sie im Handumdrehen Russlands tiefste Seele mitten auf den Angermünder Klosterplatz, über dem sich Schwalben kreischend jagten. Der vielgereiste Regisseur Hans-Joachim Frank, der diese Spielstätte in Angermünde als eine der schönsten bezeichnet, hatte für das diesjährige Sommertheater in die große Schatzkiste der russischen Weltliteratur gegriffen und ein fast vergessenes Kleinod aus dem 19. Jahrhundert entstaubt, das in die heutige Zeit, an diesen Ort zu diesem Abend passte, wie eigens dafür gemacht.
Anton Tschechows Einakter „Der Bär“, „Vom Schaden des Tabaks“ und „Der Heiratsantrag“ ist maßgeschneiderter Stoff für das Wandertheater 89 – pur, authentisch, lebendig, jenseits von intellektueller Überhöhung und bühnentechnischer Überreizung, dafür mit ganz viel Raum für schauspielerisches Talent. Tschechow (1860 – 1904) nimmt mit trefflicher Ironie und russischer Leidenschaft zwischenmenschliche Schwächen und Charakterzüge aufs Korn und hält dem Publikum den Spiegel vor´s Gesicht, das die feinen Spitzen und derben Späße genüsslich mit herzlichem Lachen quittierte. Ein russischer Loriot. Da geht es um Leidenschaft und Sehnsucht, um Liebe, Sünde und Eifersucht, Neid und Rechthaberei.
Es ist aber vor allem die hervorragende Kunst der Schauspieler Kristin Schulze, Matthias Zahlbaum, Christian Schaefer, André Zimmermann und der Musiker Martin Schneider und Bernd Spanier, die die russische Seele so überzeugend leidenschaftlich seufzen, fluchen, lachen und singen ließen, als wäre man mittendrin in diesem stolzen Land, das viel mehr sein kann, als Kulisse einer Fußballweltmeisterschaft. Diese Bootschaft ist Regisseur Hans-Joachim Frank grandios gelungen. Fehlten eigentlich nur noch Wodka, Kwas und Kaviar.(dw)
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