Gretchen nervt Faust mit der Frage: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion.“ Er redet um den heißen Brei herum und bleibt die Antwort schuldig. Wir sagen zu den Beteiligten der Sommertournee 2017 ebenfalls: „Hand auf’s Herz!“ Und hoffen, sie werden etwas konkreter …
Martin Schneider, Musiker. Der zweite Streich.
theater 89: Martin Schneider, wie hast du’s mit der Reformation?
Martin Schneider: Gegen Dogmen? Gerne, jederzeit. Das Machtzentrum ausmachen und angreifen? Mit Inbrunst. Aber eine Axt bleibt eine Axt, auch wenn man sie grün anmalt … Es kommt drauf an, wer sie führt, zu welchem Zwecke. Jeder Fortschritt ist erstmal angebracht und anzuerkennen – aber es mutet dann doch so an, dass das Neue nicht sagte: Die Axt schwingen ist falsch!, sondern: Ich schwing sie besser als Du!
t89: Mit Luther?
MS: Der Bürgersohn im Dienst für seine Klasse. Der Adelsbüttel, der Bauernfresser. Als Antisemit und Frauenverachter kann man ihn schwieriger brandmarken, da das ja wohl zum allgemeinen guten Ton gehört hat. Aber es gab sehr wohl Zeitgenossen, die sich in der Bauernfrage durchaus auf die richtige Seite zu stellen wussten. Und das war kein Irrtum oder eine schwierige Entscheidung für Luther. Er stand ganz klar auf der Seite der Reichen und Mächtigen – nur eben bitte nicht Rom. Man mute mir nicht zu, auch nur ein gutes Haar an ihm zu belassen. Das protestantische Verherrlichen des Schinderns bis zum Umfallen, das Verdammen der Entrechteten zu Elend und Armut, das verlogene Zurechtbiegen der Heiligen Schriften, die die Untersten nun fälschlicherweise glaubten, selbst erlesen und interpretieren zu dürfen … all dies hallt durch die folgenden Jahrhunderte und spornte die Mächtigen allseits zu schonungsloser Grausamkeit und Menschenverachtung an. „Das sanft bebende Fleisch zu Wittenberg, welches mit verkehrter Weise durch den Diebstahl der Heiligen Schrift die erbärmliche Christenheit also ganz jämmerlich besudelt hat.“ Dieser oder Müntzer? Ich wüsste, wo ich wär‘. Die Bibel haben auch andere übersetzt.
t89: Wie hast du’s mit Hans Sachs?
MS: Ein Propagandist, im Bund mit Luther gegen die Sache der Bauern? Ein Mitvorbereiter der blutigen Rache an den Haufen der Sensen- und Bundschuhträger? Oder einer, der den liebevoll verschrobenen Blick auf die Kaste der abergläubisch-täppischen Landbevölkerer und Städteernährer warf und sie ebenso „vorführte“ wie ihre Bauernschläue pries? Dichtung, Takt und Humor – als Musiker gefällt mir das.
Mit Musik und Liedern?
MS: Mein täglich‘ Brot – und manchmal schwere Kost für andere.
t89: Wie hast du’s mit theater 89 und der Sommertournee?
MS: Ich bin ein dankbarer Gast. Sicherlich unter weniger Druck und mit mehr künstlerischen Freiheiten als die sonstige Belegschaft. Ein freier Schlemmer, der begierig aufsaugt, was ihm hier so freundlich geboten wird: Geborgenheit in einem Ensemble aus Kennern und Charakteren, Handwerkern und Chimären.
t89: Den sonstigen beruflichen Aktivitäten?
MS: Notwendige Übel.
t89: Und den eigenen Ferien?
MS: Bedingt durch die notwendigen Übel halten sich diese eh in Grenzen. Es gibt sowieso nur zwei gute Alternativen, was die Freizeit anbelangt: Das eine ist das Zurückziehen, das Knochenschonen und der Versuch, das zarte Pflänzlein der eigenen Schaffenskraft wieder etwas zu wässern und zu hegen; allein und mit viel Muße und – ja, doch – notwendiger Langeweile. Das andere ist diese Sommertournee.
t89: Gibt es eine Frage, die wir nicht gestellt haben, die du aber unbedingt beantworten möchtest?
MS: Die Frage nach meiner u. a. größten Freude: Ich darf ein Kostüm tragen! Danke, Barbara.