Aus einem Brief an die Mitwirkenden zur Premiere DER FALL JUDAS in der Katholischen Kirche St. Johannes Baptist, Fürstenwalde/Spree:
… Der deutsche Gelehrte und Dichter Walter Jens hat die Bibel, die Historie und sich selbst befragt, offenbar in dem Bedürfnis herauszufinden, was in und mit Hilfe der Christenheit zu Antisemitismus und zu Holocaust führte, und er hat einen Trick gefunden, mögliche Positionen, Erkenntnisse und Argumente vorzustellen.
Marie-Luise Frost als Judas und Alexander Binieas als Jesus
Er dachte sich aus, wie es wäre, wenn jemand versuchte, den „Verräter“ Judas als den treuesten Freund Christi, als selbstlosen Miterfüller von Gottes Plan, also als Märtyrer zu überführen. Mit dieser Absicht würde eine ganze Maschinerie des Widerspruchs und der Rechtfertigung angeworfen.
Der Roman beinhaltet ein konfliktreiches Spiel – ein Für und Wider der Mächte und der Überzeugungen, der Fakten und der Mythen … Nicht zuletzt deshalb eignet sich der Text für eine Aufführung, man muss hören, was da herausgefunden und aufgeschrieben wurde, man kann sehen, wer wem gegenüber steht.
Ronald Richter als Patriarch von Jerusalem und Jünger
Es sind Anklage- und Verteidigungsreden, es ist ein gefährliches Spektakel. Seine Erkenntnisse könnten zünden und müssen in Wirklichkeit unterdrückt werden.
Christian Schaefer als Glaubensanwalt und Jünger
Unsere Kirche füllt sich mit Worten und mit Sinn, die Zuschauer dürfen den spannenden Tiraden folgen wie in einem Gericht. Und sie dürfen die Kämpfer dieser Wortgefechte anschauen, die erhoben vor dem Altar platziert sind. Der das Ganze am Hals hat, ist dem Publikum nahe … Die Worte fliegen über das Abendmahl, über die Köpfe hinweg. Nur Jesus und Judas agieren.
Christian Schaefer als Glaubensanwalt, Alexander Binieas als Jesus und Volk
Die Jünger treten auf als Volk. Sie sind anonym maskiert wie zur Fastnacht. Wenn sie ihre Masken ablegen, werden sie zu den zwölf Gefährten Christi. Das Gegengewicht bildet der Chor, der an entscheidenden Stellen mit liturgischen Gesängen das Geschehen grundiert, kontert oder umhüllt und mit sprachlichen Einwürfen auf Deutsch und Polnisch unterstreicht oder antreibt.
Es ist ein Kunststück, wie die schweren Inhalte einfach und leicht vermittelt werden. Es ist ein Glück, wie Polen und Deutsche, Laien und Profis friedlich miteinander arbeiten …
Text: Jörg Mihan, Dramaturg, 22.09.2016
Im Player unten hören Sie den Schlusschoral vom Chór Kameralny ADORAMUS Slubice, Polen, Leitung: Barbara Weiser.